Zuhause eingesperrt – wie sich die Lockdowns auf unsere Bewegung ausgewirkt haben

Mehrere Versonen von Florian sitzen in seinem Zimmer
Die Lockdown-Zeit vertrieb sich Florian mit Videospielen, Mangas, Filmen und Uniarbeit.

Ausgangssperren und Homeoffice begleiten uns nun seit über einem Jahr. Hat die Coronakrise uns müde gemacht? Auf jeden Fall. Aber auch faul? Um zu sehen, ob Lockdown auch weniger Bewegung bedeutet, ließen uns vier junge Menschen ihre Bewegungsdaten analysieren. 

von Raphael Bossniak, Louis Ebner, Florin Höfle & Jakob Ille

„Bleiben Sie zuhause“, „treffen Sie niemanden“ – Sätze, von denen noch vor eineinhalb Jahren niemand gedacht hätte, sie aus dem Mund eines Regierungsmitgliedes zu hören. Seit dem 16. März 2020, dem Tag, an dem in Österreich der erste Lockdown in Kraft trat, wurden Aufforderungen wie diese zur Normalität. Wer sich mit Freunden zum Spazieren gehen oder Zusammensitzen im Freien traf, wurde von der Polizei ermahnt. In vielen Fällen wurden Anzeigen ausgestellt. Ziel dieser Einschränkungen: Die Mobilität der Menschen in Österreich und damit die Zahl ihrer Kontakte senken.

Während die meisten Berufsgruppen mittlerweile wieder ihren Jobs nachgehen, sitzt eine Bevölkerungsgruppe noch immer zuhause: die Student*innen. Bis auf wenige Ausnahmen sind Universitäten und Fachhochschulen geschlossen, Vorlesungen finden bis auf Weiteres online statt. Natürlich bedeutet das nicht, dass Studierende nur Zuhause sitzen, im Gegenteil; viele legen heute viel mehr Wert auf Bewegung als vor der Pandemie. Vier von ihnen, Jana, Anna, Florian und Johannes, haben uns die Bewegungsdaten ihrer Handys und Smartwatches zur Verfügung gestellt.

Beim ersten Lockdown blieben die meisten Menschen zu Hause. Die Zahl der „Mobilen“, also jener Menschen, die sich täglich mehr als einen Kilometer von ihrer Wohnung entfernen, sank während des Lockdowns im März 2020 drastisch; und zwar von 73% auf 45%. Ein Jahr später merkt man davon nur noch wenig – Lockdowns haben sich abgenutzt. Der anfängliche Schock ist 15 Monate nach dem Auftreten des Coronavirus in Österreich vorbei. Die Menschen sind pandemiemüde.

Apple veröffentlicht Daten, die zeigen, wie sehr sich die Mobilität der Menschen seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie verändert hat. Dazu werden Mobilitätsfaktoren vom 13. Jänner 2020 als Ausgangswerte herangezogen und im Wert 100 zusammengefasst. Werte der Mobilitätsdaten von der Zeit danach stehen in Relation zu diesem Ausgangswert von 100. Um die österreichweiten Daten mit denen der Protagonist*innen vergleichen zu können, wurden sie umgerechnet, sodass der Ausgangswert dem Durchschnitt der Mobilitätswerte der Woche von 03. bis 09. Februar 2020 entspricht. Ebenso wurde für jede*n Protagonist*in die durchschnittliche Schrittzahl derselben Woche als Ausgangswert, also 100, festgelegt, auf den sich die Werte der beiden Lockdown-Wochen relativ beziehen.

Auch Jana, Florian und Johannes verschanzten sich daheim. Der Grund dafür: Ein unbekanntes Virus und strenge Ausgangsbeschränkungen verunsicherten viele Menschen. Es herrschte Apokalypse-Stimmung: “Das war eine ganz neue Situation. Da war ich mal brav und hab auf die Regierung gehört.”, erzählt Florian über seine Erfahrung Anfang März 2020. Florian blieb von den Befragten am striktesten zu Hause. Er fasst das Motto dieser Zeit zusammen: “Bewegen wir uns nicht so viel, damit wir nicht krank werden. (lacht) Die ganze Situation hat mich schon eingeschüchtert.”

Anna ist die Ausnahme, denn während die Schrittzahlen der anderen Befragten während des ersten Lockdowns im Keller lagen, schoss ihre Schrittzahl rasant in die Höhe. Der Grund: sie hatte jetzt Zeit zum sporteln.

Anna sportelt, Florian bleibt zuhause

Anna läuft schon seit sie klein ist regelmäßig. In ihrer Schulzeit ist sie im Leistungssport aktiv, während des Studiums hat das Laufen aber oft zeitmäßig weniger Platz. Als der erste Lockdown kam, bekam der Sport wieder einen höheren Stellenwert. „Ich halte das nicht aus wenn ich nicht rausgehe und ich habe mir gedacht, das ist das Einzige wo ich gerade rausgehen kann, wo ich was machen kann. Ich bin so viel am Tag gesessen, also habe ich mir dann vorgenommen, dass ich wieder trainiere.“, erzählt Anna. Sie setzte sich das Ziel wieder einen Halbmarathon zu laufen: „Das habe ich mir dann vorgenommen, weil ich habe irgendwas gebraucht, an dem ich mich festhalten kann. Etwas, das ich jeden Tag mache, weil sonst wäre ich daheim versumpft.“

Auch Florian suchte sich einen sportlichen Ausgleich zum Zuhause-Eingesperrtsein. Er hatte vor dem Lockdown regelmäßig Hip-Hop-Tanzstunden besucht, jetzt finden sie online statt. Über Zoom zeigt Florians Tanzlehrer ihm eine Tanzchoreografie und er macht sie zu Hause im Wohnzimmer nach. Das Abreagieren durch Bewegung braucht Florian: “Ohne Sport fühle ich mich unausgeglichen. Ich merke das am Abend, da kann ich schlechter einschlafen.”

Mehr Zeit daheim

Die Wohnsituation wurde während dem Lockdown zum lebenswichtigen Thema. Wie groß die Wohnung ist, war plötzlich entscheidend. Florian hatte Glück mit seinen Eltern in einem großen Einfamilienhaus leben zu können: “Ich war oft im Garten und nicht oft spazieren. In einer kleinen Wohnung würde ich oft die Außenwelt suchen.”

Mehrere Versonen von Florian sitzen in seinem Zimmer
Die Lockdown-Zeit vertrieb sich  Florian mit Videospielen, Mangas, Filmen und Uniarbeit.

Anna, Jana und Johannes lebten enger, teilweise in Wohngemeinschaften. Zum Glück versteht sich Anna sehr gut mit ihrer Mitbewohnerin. Daran hat auch die viel zusätzliche Zeit die sie miteinander verbracht haben nichts geändert. Ungewohnt war für sie jedoch, dass sich sowohl ihr Studien- als auch ihr Arbeitsleben ins Homeoffice verlagert hat. Anna arbeitet 40 Stunden die Woche für A1 und lernt abends für ihr Studium. Das führte dazu, dass sie besonders während des ersten Lockdowns fast nur mehr zum Laufen die Wohnung verließ. Anfangs fand sie das von Zuhause arbeiten noch in Ordnung, doch mit der Zeit begann es ihr auf die Nerven zu gehen. „Du sitzt vor dem Computer und willst nur kurz jemanden etwas fragen und dann musst du gleich jemand anrufen, weil du sitzt nicht im Büro nebeneinander.“, erzählt sie. Mittlerweile hat sich jedoch eine gewisse Routine entwickelt. „Man gewöhnt sich dran und ich muss sagen ich kann es mir gar nicht mehr richtig vorstellen jeden Tag ins Büro zu gehen, das fände ich gerade voll komisch.“, sagt sie.

Aber wie schaut es eigentlich aus, wenn sich das ganze Leben nur auf die eigenen vier Wände begrenzt? Wie viel Stunden verbringt man vor dem Home-Office-PC, wie viele Minuten vor der Müslischüssel? Wir haben skizziert, wie Anna einen typischen Tag in ihrer Wohnung verbringt.

So sieht Annas typischer Tag zuhause aus

Anna hat für uns einen typischen Lockdown-Tag festgehalten und sich genau aufgeschrieben, wie lange und wo sie sich untertags in ihrer Wohnung aufhält.  Nach dem Aufstehen geht es kurz ins Bad und in die Küche, bevor sie sich an den Wohnzimmertisch setzt um zu arbeiten. Dort verbringt sie dann auch – von einer kleinen Mittagspause mal abgesehen – den ganzen Tag. Abends wechselt sie dann auf die Couch, um sich noch eine Vorlesung oder einen Film anzusehen. Dann geht es nach einem kurzen Abstecher ins Bad auch schon wieder ins Bett.

Eine neue Routine

Bevor das Coronavirus auch in Wien angekommen ist, hat Jana ein bis zweimal in der Woche Sport gemacht. „Ich hab mich schon immer wieder für 20 Minuten bewegt, aber meine Bewegung bestand eher aus feiern und tanzen gehen“, sagt sie. Zusätzliche Aktivität wäre für Jana wohl auch nicht zwingend nötig gewesen, denn als Kellnerin war sie genug auf den Beinen, bevor die Gastronomie schließen musste. Auch in ihrem Alltag war Jana viel unterwegs.

Jana sitzt im Park.
Jana hat während der Lockdowns begonnen regelmäßig Sport zu treiben

Das Wegfallen der Bewegung in Janas Alltag bemerkte sie stark. Den ersten Lockdown im März verbrachte Jana zu großen Teilen nur zuhause. Im Durchschnitt legte sie in der untersuchten Woche 2.835 Schritte zurück. Jana reduzierte ihre Mobilität im Vergleich zur Woche im Februar 2020 also enorm, wie auch der Großteil der Menschen in Österreich. Ihre Wohnung hat sie in dieser Woche nur an zwei Tagen verlassen, um Besorgungen zu machen. Jana erklärt: „Im März war es noch so, dass ich sehr überrannt war von dem Ganzen. Zuhause bleiben war zu der Zeit auch sehr gemütlich.“ Gemeinsam mit ihrer Mitbewohnerin setzte sie Heimwerk-Projekte um oder verbrachte den Tag am Balkon: „Der war übrigens Gold wert für diese Zeit“, fügt Jana hinzu. Schließlich wurde es in dieser Woche schon bis zu 20 Grad warm.

Die ersten schönen Frühlingstage klopften an, doch spazieren zu gehen schien zu riskant, erzählt Jana: „Wir wussten ja auch nicht, ob es überhaupt erlaubt ist, dass wir zu zweit rausgehen.“ Als Jana nach einiger Zeit Rücken- und Gelenkbeschwerden bemerkte und zuhause schon Lagerkoller bekam, begann sie allein spazieren zu gehen, um dem entgegenzuwirken. “Lustigerweise ist das so ein Corona-Ding. Routine und Struktur sind mir echt wichtig geworden”, erzählt sie. Das behält sie auch bis heute bei.

Der erste Lockdown erschien für Jana bis zu einem gewissen Grad noch aufregend und sie verbrachte viel Zeit mit ihrer Mitbewohnerin. Als diese im Sommer aber ins Ausland zog, wurde Jana langweilig, weswegen sie begann, Sport zu treiben – und zwar sechsmal die Woche. Am liebsten geht sie Wandern oder macht Home-Workouts und Yoga.

Im April 2021 galten in Wien ähnliche Lockdown-Bestimmungen wie damals, Janas Bewegungsprofil sieht aber deutlich anders aus. In diesem Lockdown war Jana deutlich mehr unterwegs als noch im Februar 2020. Sie verbrachte auch nur noch zwei Tage die Woche nur zuhause. Sie war auch mehrere Tage länger als nur für kleinere Besorgungen unterwegs.

Trotz der vielen zusätzlichen Bewegung hat sich Janas durchschnittliche Herzfrequenz nicht merkbar verändert: Vor dem ersten Lockdown sowie während der untersuchten Woche im April 2021 lag sie bei 60 Schläge pro Minute. Im März 2020 kam es allerdings zu einem Anstieg auf durchschnittliche 62 Schläge pro Minute, was mit der reduzierten Bewegung zusammenhängen könnte.

Licht am Ende des Tunnels

Für Johannes ist durch das schönere Wetter und die Vielzahl an Testmöglichkeiten im Frühling dieses Jahres wieder mehr möglich als ein paar Monate zuvor. Mit Freunden trifft er sich im Freien, meistens zum Tischtennisspielen. Anders als noch im Lockdown im Herbst wurde er im April nicht mehr von der Polizei aus dem Park vertrieben. Aber auch auf die Uni geht er seit Jänner wieder regelmäßig, da er für seine Bachelorarbeit in Biomedizin an Genen forscht, und dafür das Labor der Veterinärmedizinischen Universität benötigt.

Johannes spielt im Park Tischtennis
Am liebsten spielt Johannes im Hamerlingpark Tischtennis

Zwar fallen immer noch viele Schritte weg, wie der Weg heim vom Club oder das Tanzen dort. Johannes durchschnittliche Schrittzahl ist im April aber wieder ungefähr so hoch, wie sie vor Corona war. „Ich bewege mich heute auch viel bewusster als früher, mache Spaziergänge oder verzichte auf die Öffis und gehe stattdessen zu Fuß. Das werde ich mir auch beibehalten“.

Die harten und weichen Lockdowns, die uns seit Herbst begleiten, fühlten sich für ihn alle anders an als der erste. „Es war nicht mehr neu, nicht mehr bedrohlich. Im März 2020 war ich fast nur zuhause, an manchen Tagen habe ich mich keine 200 Schritte bewegt. Mittlerweile bin ich jeden Tag draußen, sei es um auf die Uni zu fahren, oder Freunde zu treffen.“ So dürfte es nicht nur Johannes gehen. Die Zahl der „mobilen” Personen, während dem ersten Lockdown nur 45%, ließ sich mit allen weiteren harten Lockdowns lediglich von 73% vor Corona auf 60% drücken. Soft Lockdowns hatten auf diesen Wert quasi keinen Einfluss.

Während beim ersten Lockdown die meisten Leute daheim blieben, ist beim zweiten schon deutliche Lockdown-Lethargie erkennbar. Nach dem ersten Schock ging die Mobilität in Österreich wieder langsam in die Höhe. Auch erneute Lockdowns wirkten sich nur mäßig auf die Mobilität aus, man kannte das Virus ja bereits: joggen gehen und Spaziergänge waren unbedenklich. Unsere Protagonist*innen fühlten sich wieder etwas sicherer. Aber haben sie die Lockdowns unsportlicher gemacht? Jein. Im ersten Lockdown sanken die Schrittzahlen und damit auch die Bewegung der Menschen in Österreich drastisch, manche nutzten die Situation aber auch, um mehr Sport zu treiben.

Bewegung als Mittel zum Zweck, davon gab es im Lockdown wenig. Der Weg in die Arbeit war nicht weiter als bis zum Küchentisch, der Hörsaal oft im Bett verortet. Dafür wurde der bewusste Spaziergang alltäglicher Begleiter. Eine der wenigen Veränderungen, die hoffentlich auch nach der Pandemie erhalten bleiben.